Die Kurzgeschichte zum 3. Advent

Weihnachtsboykott

                                                                        Teil 1

Meine aller erste Erfahrung mit Weihnachten war keine positive. Eingezwängt in ein Katzenweihnachtskostüm saß ich zwischen Krippe und Geschenken unter dem Christbaum. Zwei Tage vorher noch Gegenstand einer Kleinanzeige, sollte ich nun als pädagogisch wertvolles Präsent dem damals sechsjährigen Sohn der Familie den richtigen Umgang mit Lebewesen beibringen. Und das tat ich auch. Allerdings mit entschieden mehr Vehemenz als sich seine Eltern das je getraut hätten.

Da saß ich also und fühlte mich absolut lächerlich. Meine zukünftige Bezugsperson fütterte mich mit Preiselbeermarmelade, was darauf schließen ließ, dass sie noch nicht viel über artgerechte Katzenernährung wusste. Das süße Zeug verteilte sich über mein ganzes Gesicht und verklebte meine Schnurrbarthaare. Ich putze, so gut ich konnte, aber das dumme Kostüm ließ nicht viel Bewegungsfreiheit zu. So blieb an meiner Nase ein dicker, roter Klecks hängen, der mir den unglaublich dämlichen Namen Rudolph einbrachte. Es ist reiner Zufall, dass ich tatsächlich ein Kater bin, denn zum Zeitpunkt meiner Namensgebung war das für Laien noch nicht zu erkennen (leider war keiner meiner Menschen Tierarzt, denn so hätte ich mir in so mancher schweren Weihnachtsstunde die eine oder andere Beruhigungspille gönnen können). Die Preiselbeermarmelade hatte aber nicht nur namenstechnisch Folgen für mich. Auch mein Magen revoltierte und ich musste mich in der Krippe übergeben.

Das Weihnachten im Jahr darauf wurde mir dadurch versauert, dass man mich wieder in das Weihnachtskostüm zwängen wollte. Ich war inzwischen natürlich viel zu groß, aber mach das mal einem Siebenjährigen klar. Ich habe es letztendlich geschafft und die Aussicht auf eine erneute Tetanusspritze schloss dieses Kapitel endgültig.

Junior schreibt jedes Jahr fleissig Weihnachtslisten, die so lang sind, dass er zwei Stifte daran aufbraucht. Und ich? Keiner schenkt mir Bio-Thunfisch oder echte Mäuse, ganz zu schweigen von einer rassigen Katzendame, um, na ja, Spaß zu haben. Wie soll ich mich da auf Weihnachten freuen? Ich bekomme als Einziger keine Geschenke. Nicht mal welche, die ich gar nicht will. Sondern einfach nichts, gar nichts.

Diese Enttäuschung, zusammen mit meinem bereits bestehenden Weihnachtstrauma, führt dazu, dass ich jedes Jahr versuche, die festliche Stimmung, so gut es geht, zu boykottieren. Ich halte mich da vor allem an Frauchen. Die ist von dem ganzen Trubel auch nicht begeistert und wenn sie doch mal Ansätze von Besinnlichkeit oder Entspannung zeigt, bringe ich sie auf den rechten Weg zurück, in dem ich unter anderem zum Kabelbeißer mutiere, der selektiv Lichterketten und anderer blinkender Deko den Garaus macht. Wenn dann Frauchen mit schriller Stimme „Mäuse, Hugo, wir haben Mäuse im Haus! Sieh dir das Kabel an!" ruft, liege ich wohlig schnurrend auf dem Fensterbrett, das ich vorher von störenden Keramikengeln befreit habe. Herrchen stellt, durch langjährige Erfahrung schlau geworden, prompt Fallen auf. Diskutieren, das weiß er mittlerweile, bringt nichts ein, außer vielleicht eine Woche lang angebranntes Rührei zum Abendessen. Hin und wieder lege ich eine von mir erbeutete Alibimaus auf die Falle. Ich mache mir die Mühe aber nur, wenn es mir gelungen ist, an Frauchens Mehl- und Zuckervorrat zu kommen und diesen zu verwüsten, vorzugsweise samstags nach Geschäftsschluss. Die Krönung ist, wenn die Plätzchen für den Weihnachtsbazar am Sonntag gedacht waren und alle anderen Topflappen oder Socken mitbringen.

Dieses Jahr kam ein unerwarteter Angriff aus dem Hinterhalt. Herrchens Mutter, deren reine Namenserwähnung bereits ein kollektives Erblassen hervorrief, hatte per Telegramm ihr unvermutetes Erscheinen für den dritten Adventsamstag angekündigt.

Ich hatte sie bis jetzt noch nicht kennen gelernt, denn sie war eine sehr umtriebige Person, die, seit sie Witwe war, sämtliche Feiertage gerne weit weg auf irgendeinem Kreuzfahrtschiff oder einer Studienreise verbrachte. Für Weihnachten hatte sie dieses Jahr eine Kreuzfahrt geplant. Ein Feuer im Maschinenraum hatte das stolze Schiff statt in die Karibik leider an den Grund des Hafenbeckens befördert. Da sie noch nicht an Bord war, als der Luxusliner sank, Herrchen keine Geschwister hatte und auch keine gefährliche Epidemie mit Quarantänepflicht ausgebrochen war, saßen Frauchen und Herrchen mit einem Telegramm in Händen seit Stunden auf der Wohnzimmercouch, die unsichere Sprache teils der nicht vorhandenen Vorfreude und einer fast leeren Flasche Wodka verdankend.

„Wir könnten...äh...auswandern."

„Nee, hicks, das schaffen wir nicht in zwei Tagen. Oder? Hicks?"

Frauchen und Herrchen ergaben sich in ihr Schicksal. Der Humorpegel sank in die Minusregionen und die ganze Familie war so völlig mit den Nerven fertig, wie ich das mit meinem Weihnachtsboykott wohl nie im Leben schaffen würde.

Junior glaubte plötzlich wieder an Monster unter dem Bett, was zu einem „last minute" Zusatz zu seiner Weihnachtsliste in Form einer Laserkanone führte. Frauchen buk statt weihnachtlichen Plätzchen plötzlich Geier und Pistolen mit hektisch aus dem Internet bestellten Ausstechern.

Man soll ja unvoreingenommen sein, aber um ehrlich zu sein, in Anbetracht der ausgebrochenen Panik wurde selbst mir etwas mulmig zumute.

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